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Gianis Varoufakis im 42-Gespräch zur Europawahl

Foto: Arton Krasniqi

Gianis Varoufakis und die EU haben ein gespaltenes Verhältnis zueinander. Als griechischer Finanzminister war er 2015 ein strikter Gegner der Sparmaßnahmen gegen das Mittelmeerland. Heute tritt er für eine pro-europäische transnationale Partei bei der Europawahl an – und will die EU-Insitutionen radikal reformieren. Im Interview spricht er über seine Pläne für Europa, übers Sparen und Reparationsforderungen.

Herr Varoufakis. 2015 waren Sie griechischer Finanzminister für die regierende Syriza-Partei. Bei dieser Europawahl kandidieren Sie nun in Deutschland für „Demokratie in Europa – DiEM 25“. Wie ist es dazu gekommen?

Europa befindet sich seit der Finanzkrise im Jahr 2008 in einem Prozess der Fragmentierung. Heute gewinnt in Deutschland die AfD an Einfluss, Frankreich ist erstarrt, Italien befindet sich im Griff des Neofaschisten Matteo Salvini. Ich habe schon lange vor dieser Entwicklung gewarnt. Nur deshalb bin ich in die Politik gegangen. Auch wenn es damals nicht so dargestellt wurde: Ich habe mich immer dafür eingesetzt, Europa wieder zu vereinen. Ich hätte nie um etwas für Griechenland gebeten, das nicht gut für Europa ist. Solange wir nicht anfangen, an unsere gemeinsamen Vorteile zu denken und die Austeritätspolitik  stoppen, werden wir politische Monster füttern. Wir müssen die Fragmentierung bekämpfen.

Aber wieso treten Sie ausgerechnet in Deutschland an?

Weil es mir die Möglichkeit gibt, etwas klarzustellen, was ich schon seit mehr als einem Jahrzehnt sage: Es ist eine Tragödie, dass die europäische Krise ein stolzes Land gegen das andere aufbringen konnte. Dass sie uns glauben lässt, dass es einen Gegensatz zwischen Griechen und Deutschen, zwischen Nord und Süd, West und Ost gibt. Wir wollen den Menschen mit unserem transnationalen Bündnis zeigen: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Norden und Süden, sondern zwischen progressiver Politik und einer großen Bandbreite an Autoritarismus – zum Beispiel der Troika und den Salvinis.

Sie haben mit DiEM 25 eine pro-europäische Bewegung geschaffen. Gleichzeitig sprechen Sie aber davon, die EU-Institutionen „zu übernehmen“ und radikal zu reformieren. Wie passt das zusammen?

Es ist der logische Ansatz. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist – aber wenn ich mit meiner Regierung nicht einverstanden bin, sehe ich es als meine Pflicht, mich ihr entgegenzustellen. Das macht aus mir aber nichts anderes als einen Patrioten. Genauso ist es mit Europa. Wenn du es so liebst wie wir, dann musst du dich denen entgegenstellen, die es beschädigen. Das sind zum Beispiel die Euro-Gruppe und die Europäische Zentralbank, die für 2,7 Milliarden Euro Staatsanleihen kauft und sie nicht für Investitionen in bessere Jobs und eine grüne Zukunft einsetzt.

Wie sieht ihr perfektes Europa der Zukunft aus?

Wenn ich die Macht hätte, das Europa von 2050 zu gestalten, wäre es eine demokratische Föderation. Die Frage der Souveränität ist dabei eine, die wir sehr ernst nehmen müssen. Meine Kritik an der Diskussion um dieses Thema – mehr Europa, weniger Europa – ist, dass sie auf einer falschen Annahme beruht. Sie wird als Nullsummenspiel, als Krieg geführt. Mehr Europa oder mehr Staat. Das ist falsch. Im Moment haben wir Staaten, die souverän sein sollen, es aber eigentlich nicht sind, weil wichtige Entscheidungen von unseren nationalen Parlamenten an die EU übertragen werden. Die ist aber eine demokratiefreie Zone und besitzt keinerlei demokratische Souveränität.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir die Eurogruppe: Ich saß dort mit dem Mandat der griechischen Bürger. Wolfgang Schäuble sagte damals völlig zurecht, dass auch er ein Mandat hat, nämlich das der Deutschen. Wenn sich Mandate aber gegenseitig aufheben, haben wir weder souveräne Mitgliedsstaaten noch eine souveräne EU. Wir bei DiEM 25 schlagen vor, europäische Lösungen zu schaffen. Ich wünsche mir ein demokratisches Europa, in dem unsere Uneinigkeit auf unseren Ideologien beruht und nicht darauf, dass wir Deutsch oder Griechisch reden.

Im Moment kann das aber oft noch den Unterschied machen. Wie beurteilen Sie die griechischen Reparationsforderungen gegen Deutschland?

Das ist ein schwieriges Thema. Als ich das erste Mal im Finanzministerium in Berlin war, sagte man dort sehr unhöflich zu mir: „Wann bekommen wir unser Geld zurück? Schulden sind Schulden.“ Da ist es für Griechen, deren Familien durch die Nazis zerstört wurden, zu sagen: Wenn Schulden gleich Schulden sind, dann schuldest du mir auch etwas. Hinzu kommt, neben den Reparationsforderungen, der erzwungene Kredit der Bank von Griechenland an die Wehrmacht 1942. Davon existiert sogar noch eine Kreditvereinbarung.

Aber das alles führt nur zu gegenseitigen Anschuldigungen, die uns nicht weiterhelfen. Ich denke nicht, dass junge Deutsche mit Schulden gegenüber den Griechen leben sollten und genauso wenig glaube ich, dass es gerecht ist, wenn junge Griechen ihr Land verlassen müssen. Ich glaube nicht, dass Schulden heilig sind. Niemand außerhalb von Europa glaubt das. Wären Schulden heilig, gäbe es keinen Kapitalismus. Er funktioniert nur, weil es das Prinzip der begrenzten Haftung gibt. Lasst uns unsere gegenseitigen Schulden auslöschen und nach vorneschauen.

2015 haben Sie sich gegen das Reformpaket der EU für Griechenland ausgesprochen. Wo wäre das Land heute, wenn Sie sich durchgesetzt hätten? 

Es würde Griechenland in jeder Hinsicht besser gehen. Ich habe damals zusammen mit anderen internationalen Experten die offensichtliche Lösung vorgeschlagen: nämlich die griechischen Schulden zu restrukturieren. Es war meine Pflicht, Nein zu sagen. Und alles, was aus diesem Nein hätte werden können, wäre besser als das, was wir jetzt haben. Selbst ein Grexit hätte zwar für ein paar Monate enorme Kosten gehabt, dafür würde die griechische Wirtschaft heute wieder um acht Prozent wachsen und das Land wäre schuldenfrei. Heute feiern sie in Griechenland das Ende der Krise. Aber der einzige Grund, wieso die Arbeitslosigkeit sinkt ist, dass die Leute das Land verlassen. Das ist doch absurd: Du vernichtest ein Land und dann feierst du, dass es keine Arbeitslosigkeit gibt.

Wir sprechen in Europa gerade viel über Rechtspopulisten. Sind Sie das Äquivalent der Linken?

Wenn jemand sagt, dass ich ein linker Populist bin, empfinde ich das als logischen Fehler und Beleidigung. Populismus ist für mich per Definition rechts. Ein Populist ist ein Politiker, der den Schmerz und Ärger der Menschen ausnutzt, um an die Macht zu kommen. Er hetzt eine Kultur gegen die andere auf, ein Land gegen das andere. Sobald er an der Macht ist, verbindet er ein autoritäres Regierungssystem mit ein wenig Menschenfreundlichkeit.

Jeder Linke, der das aufgreift, ist nicht links. DiEM 25 ist nicht populistisch – wir sind das größte Gegengift. In der Migrationsfrage sagen wir zum Beispiel: Lasst die Leute kommen, wir finden eine Lösung. Das ist nicht populistisch, weil es uns wirklich nicht mehr Wähler beschafft.

Ein weiteres transnationales Bündnis, das bei dieser Europawahl antritt, ist Volt. Was halten Sie von der Partei?

Als wir gehört haben, dass Volt gegründet wurde, haben wir uns gefreut. Wir waren das erste transnationale Bündnis – wir wollen mehr von ihnen. Ihr Programm ist allerdings zu allgemein. Bevor wir bei „Demokratie in Europa – DiEM 25“ um die Stimmen der Wähler gebeten haben, haben wir drei Jahre darauf verbracht, die technischen Details unseres Programms auszuarbeiten. Wir sagen nicht nur: Wir wollen ein grünes Europa. Wir sagen, wie viel es kosten soll, wo das Geld herkommt und wie es ausgegeben wird. Volt hat keine solche Politik. Die Partei ist eine leere Hülle.  

Das Interview führten Eliana Berger und Thorsten Breitkopf.
Es erschien zuerst im Kölner Stadt-Anzeiger.

Foto: Arton Krasniqi

Über Gianis Varoufakis

Gianis Varoufakis, 1961 in Athen geboren, ist in Europa am besten bekannt als ehemaliger Finanzminister des griechischen Linksbündnisses Syriza. Er hatte die Position von Januar bis Juli 2015 inne und verhandelte mit der Eurogruppe um Finanzhilfen für Griechenland. Dabei war er ein strikter Gegner der von der EU geforderten Sparmaßnahmen und geriet besonders mit seinem damaligen deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble aneinander. Im Juli 2015 trat er zurück.

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler lehrt an der Universität in Athen. Außerdem ist er Buchautor. 2016 hat Varoufakis die transnationale Bewegung “Democracy in Europe Movement 2015” (DiEM25) mitgegründet. Bei der Europawahl am 26. Mai kandidiert er für den deutschen Wahlflügel der Bewegung. DiEM25 will die Europäische Union grundlegend reformieren. Die Bewegung setzt sich zum Beispiel für mehr transparentere Institutionen und grüne Energien ein.

 

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