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Das Universum beeinflusst unser Leben. Nehmen wir zum Beispiel die Sonne: Durch die Wärme und das Licht gibt es überhaupt erst Leben auf der Erde. Auch die Länge der Tage, Wochen, Monate und Jahre sind vom Universum und den Sternen bestimmt. Dass Sterne und deren Konstellationen allerdings das Schicksal eines einzelnen Menschen konkret beeinflussen, dafür gibt es keine Beweise. Trotzdem glauben rund 30 Prozent der Deutschen „manchmal“ an Horoskope. Warum sie so beliebt sind und häufig so gut auf unser Leben zu passen scheinen, klären wir heute aus zwei Perspektiven: der psychologischen und der linguistischen.
Psychologische Sicht
Prof. Dr. Hans-Peter Erb ist Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt Universität der Bundeswehr in Hamburg. Die Sozialpsychologie untersucht, welchen Einfluss menschliches Verhalten auf andere hat. Prof. Dr. Erbs Forschungsinteresse ist zum Beispiel die Urteilsbildung.
Linguistische Sicht
Dr. Katja Furthmann hat ein Studium der Germanistik, Anglistik und Kommunikationswissenschaften absolviert. Es folgte eine Promotion zu der Forschungsfrage: Mit welchen sprachlichen Tricks schaffen es Zeitungshoroskope eigentlich, auf alle und jeden zuzutreffen? Sie beurteilt Horoskope aus der sprachlichen Sicht.
Frau Furthmann, mein Sternzeichen ist Waage. Wie wird mein Horoskop für 2021 wohl formuliert sein?
Furthmann: Mit Sicherheit sehr positiv. Bestimmt werden Sie lesen, dass sich Ihnen große Chancen bieten. Dass Sie zwar mit einigen Herausforderungen zu kämpfen haben werden, vor allem in der ersten Jahreshälfte, aber dass Sie daran wachsen werden und sich auf ein insgesamt vielversprechendes Jahr freuen können – vorausgesetzt natürlich, dass Sie Ihre Chancen auch ergreifen und in allem das richtige Maß wahren.
Jetzt habe ich das Gefühl, das könnte so durchaus stimmen und trifft auf mich zu. Herr Erb, warum ist das so?
Erb: Dieses subjektive Gefühl lässt sich wissenschaftlich erklären. Die Annahmen, die wir lesen, sind sehr vage. Das führt zum Barnum-Effekt. Dieser Effekt beschreibt, dass Menschen vage und allgemein formulierte Aussagen schnell auf sich übertragen. Das hat mehrere Gründe, zum Beispiel sind die Aussagen wünschenswert formuliert und sprechen allgemeine und weit verbreitete Sorgen an.
Das Zweite ist ein Phänomen, das wir den Confirmation-Bias nennen. Das ist eine Verzerrung bei der Hypothesenprüfung. Das heißt, Menschen neigen dazu, eigene Annahmen und Hypothesen zu bestätigen. Sie suchen nach positiven Beispielen. Aspekte, die gegen die Hypothesen sprechen, werden vernachlässigt.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn ich davon ausgehe, dass Transporter immer besonders schnell fahren, bemerke ich auf der Autobahn immer wieder schnelle Lkw. Dann mache ich immer wieder einen Strich: „Ja das stimmt schon wieder.“ Was wir dabei aber vernachlässigen: Auch andere Autos fahren zu schnell, viele Transporter halten sich an die Regeln. Das ist ein typisches Phänomen.
Welche Auswirkungen hat das auf uns?
Erb: Das kann uns stark beeinflussen. Wir nennen das eine selbsterfüllende Prophezeiung. Das bedeutet: Wenn wir die Horoskope lesen und sie für glaubwürdig halten, dann richten wir danach unser Verhalten aus. Dann beeinflussen Horoskope wirklich unser Leben, nur anders herum, als Astrolog:innen behaupten: Dinge passieren dann, weil sie vorhergesagt worden sind. Wenn Schüler:innen mitkriegen, die Lehrer:innen erwarten keine tolle Leistung von ihnen, dann werden sie auch selten dagegen ankämpfen.
Horoskope können folglich Einfluss auf unser Leben nehmen – wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Welche Themen werden dort besonders häufig angesprochen?
Furthmann: Themen, die für fast alle Menschen alltagsrelevant sind: Beruf, Gesundheit, Partnerschaft. In diesen Bereichen wird ein thematisches Spektrum aufgespannt, das auf ein „gesundes Mittelmaß“ abzielt: Man sollte in allen Bereichen das richtige Maß wahren – weder zu aktiv noch zu passiv sein; seine Bedürfnisse ernst nehmen, aber nicht egoistisch sein; Entscheidungen treffen, aber nichts überstürzen; Sport treiben, aber sich nicht verausgaben. Ein Topos, der einen unerschöpflichen Fundus an Aussagen, Tipps und Ratschlägen bietet – und damit garantiert, dass Horoskope immer wieder anders formuliert werden können und uns trotzdem wohlvertraut erscheinen.
Das sind wichtige Themen. Wieso lesen Menschen gerade dafür Horoskope?
Erb: Horoskope bieten Erklärungen und gewisse Vereinfachungen komplexer Themen. Wir würden die Zukunft gerne verstehen, wir hätten gerne eine Struktur. Und man gibt natürlich auch gerne die Verantwortung an höhere Mächte ab.
Wieso sehen wir ausgerechnet in den Sternen diese Macht?
Erb: Die Sterne waren lange Zeit extrem wichtig für die Entwicklungen der Menschheit. Für die Ägypter:innen oder Maya beispielsweise. Früher galt Astrologie auch als Wissenschaft und diese Annahme hat in vielen Kreisen überlebt. Außerdem haben Sterne auch etwas Großartiges, Magisches.
Und wegen der Vereinfachungen und der Besonderheiten der Sterne greifen wir dann auf Horoskope zurück?
Erb: Es kommt auch noch was anderes dazu: Wer liest nicht gerne Positives und Schmeichelhaftes über sich? Wir lesen dort positive und schmeichelhafte Sätze. Dadurch haben wir eine gute Erinnerung an Horoskope. Es macht Spaß, so etwas zu lesen.
Was sind dabei die sprachlichen Besonderheiten, die uns ansprechen?
Furthmann: Pressehoroskopen liegt ein ungeschriebenes Gesetz zugrunde: Sie sprechen ein anonymes Massenpublikum an, suggerieren mit der direkten Ansprache aber einen persönlichen Kontakt zu jedem einzelnen Leser. So allgemein wie möglich und so präzise wie nötig müssen die kurzen Texte verfasst sein. Das scheint paradox, klappt aber, nämlich mit einem geschickten Zusammenspiel von vagen, mehrdeutigen, allgemeingültigen Wörtern, Wortgruppen und Sätzen. So stößt man in Horoskopen auf Formulierungen wie: „eine neue berufliche Aufgabe“, „Herausforderungen im Familienleben“, „eine interessante Begegnung“ oder „ein angenehmer Flirt“.
Sie gleichen begrifflichen „Regenschirmen“, die sich mit ihrer unbestimmten Referenz über eine Vielzahl individueller Lebenskontexte spannen. Jeder findet unter diesem Schirm seinen Platz, weil er die allübergreifenden Formulierungen automatisch beim Lesen auf den eigenen Lebenskontext bezieht. Mit Konjunktionen wie „und“, „oder“, „sowohl ‒ als auch“ wird der Anwendungsbereich sogar nochmals ausgedehnt, sodass Leser:innen aus verschiedensten Möglichkeiten das Passende für sich auswählen kann. Ein Beispiel: „Sie haben ein goldenes Händchen bei allen beruflichen und finanziellen Angelegenheiten. Aber auch in der Partnerschaft können Sie vom Glück verfolgt werden.“
Gibt es sonst noch weitere stilistische Besonderheiten?
Furthmann: Horoskope setzen auf bildhafte, metaphorische Aussagen und eine Skala der Relativität. Adjektive wie „groß“ und „klein“ sind ein Paradebeispiel: Ist von einem großen Ziel oder einem kleinen Konflikt die Rede, kann sich jeder auf der Größenskala eine passende Position festlegen.
Die allgemeinen und vagen Aussagen von Horoskopen sind folglich zentral. Gibt es weitere Gründe, warum manche Menschen Horoskope für seriös halten?
Erb: Häufig erscheinen Horoskope irgendwie auch wissenschaftlich. Die Voraussagen werden mit Sternen und deren Konstellationen begründet. Für uns sind diese Sätze gar nicht mehr nachvollziehbar. Zum Beispiel: „Jupiter im Quadrat zum Mars“.
Das klingt professionell. Man schreibt den Autoren:innen eine gewisse Expertise zu. Dadurch glauben wir dem mehr, als wenn jemand einfach nur etwas dahinplappert. Es entsteht eine Pseudo-Wissenschaft. Wissen wird vorgegaukelt.
Das klingt jetzt aber nicht mehr so unterhaltsam. Können Horoskope auch gefährlich werden?
Erb: Es soll Menschen geben, die süchtig nach Horoskopen geworden sind. Da geht es aber nicht mehr um einfache Zeitungshoroskope, sondern hier geht es in die Richtung einer „Heiler-“ oder „Esoterik-Sucht“. Es sind Menschen, die davon abhängig sind, dass ihnen die Zukunft vorhergesagt wird. Und die geben dafür auch sehr viel Geld aus. Hier hilft wie bei anderen Süchten auch nur noch professionelle Hilfe.
Wer schreibt denn in den Magazinen und Zeitungen die Horoskope?
Furthmann: Das ist unterschiedlich. Manche Zeitschriften beauftragen Astrolog:innen, andere bekommen die Horoskope von Medienagenturen geliefert. Und manchmal wird das Horoskop auch von Redakteur:innen selbst verfasst. Oft ist nicht ganz klar, aus welcher Feder die Texte eigentlich stammen, viele Redaktionen mögen dazu nur ungern Auskunft geben.
Trotzdem sind Horoskope noch ein fester Bestandteil von Zeitschriften und Zeitungen. Wieso?
Furthmann: Das Horoskop behauptet seit Jahrzehnten seinen Platz als Standardrubrik in Publikumszeitschriften. Die Zeitschriften sagen: Unsere Leser:innen fordern das Horoskop ein, wir bedienen ein Leserbedürfnis. Berühmt ist die Geschichte des empörten Leseraufschreis, als eine Zeitschrift mal das Horoskop wegließ. Viele Leser:innen dagegen lesen es einfach, weil es nun mal „da ist“, weil es Neugier weckt und unterhaltsam ist. In jedem Fall dient das Horoskop der Leserbindung – Zeitschriften betonen so den Kontakt zwischen Medium und Leser:innen. Sie liefern einen Moment des Innehaltens, auch der Entlastung.
Die Zukunft können sie aber nicht voraussagen. Gibt es andere Möglichkeiten, an gute Prognosen zu kommen?
Erb: Für gute Prognosen gibt es einige Tipps: Zuerst brauchen wir eine sinnvolle Fragestellung. Es muss genug Indizien dafür oder dagegen geben. Die Frage, werin 70 Jahren Bundeskanzler:in wird, wäre zum Beispiel eine schlechte. Man muss die Frage eingrenzen. Über welche Rubrik des Lebens sprechen wir? Beruf? Sport? Oder Privates?
Außerdem brauchen wir weitere Kriterien. Die Sachlage sollte in Einzelaspekte zerlegt werden. Was ist das Kriterium für einen erfolgreichen Ausgang? Ist mein Ziel zum Beispiel erreicht, wenn ich einen Marathon schaffe?
Darüber sollten die eigenen Prognosen bezweifelt werden, damit man dem Confirmation-Bias entgegenwirkt. Was spricht denn gegen diese Annahme? Werde ich für den Marathon auch trainieren? Beim Sport ist es einfach, beim Beruf wird es schon schwieriger. Da muss man mehr bedenken, zum Beispiel den Zustand der Firma. Die Beziehung mit dem Vorstand etc. Aber wenn man das genau macht, könnten wir der Wahrheit näherkommen als durch das Lesen von Horoskope.
Von Sophia Stahl